Rezension

Rezension zu

Wolfgang Putz, Elke Gloor: Sterben dürfen, Hoffmann und Campe, 2011, 254 Seiten, 18,00 Euro

(erschienen in Heft 3 der Betreuungsrechtlichen Praxis 2011, Seite 109)

Der Rechtsanwalt Putz aus München ist seit Jahren als streitbarer Vertreter von Patienteninteressen bekannt. Er hat die Entscheidung zur Behandlung von Peter K. beim Bundesgerichtshof (17.03.2003) erstritten und in der folgenden Kostenentscheidung hat der BGH in Zivilsachen betont, dass auch die Gewissensfreiheit des Pflegepersonals die Fortsetzung der künstlichen Ernährung bei entgegenstehendem Bewohnerwillen nicht rechtfertigt.

Frau Gloor hatte sich an Rechtsanwalt Putz gewandt, um den Willen ihrer Mutter durchzusetzen. Die Mutter war nach einer Hirnblutung im Chronischen Apallischen Syndrom (Wachkoma) und wurde seit 2002 über eine PEG-Sonde künstlich ernährt. Gegen die Weiterführung der künstlichen Ernährung wurde Rechtsanwalt Putz aktiv. Die Verantwortlichen im Pflegeheim weigerten sich gegen die Einstellung der Ernährung obwohl es dafür dokumentiert kein medizinisches Therapieziel mehr gab. Die Situation eskalierte als die zur Betreuerin bestellte Tochter am Freitag vor Weihnachten 2007 von der Einrichtungsleitung ultimativ binnen 10 Minuten aufgefordert wurde, der weiteren Ernährung zuzustimmen. In dieser akuten Entscheidungssituation riet Rechtsanwalt Putz zum Durchtrennen der Sonde, um entsprechende Fakten zu schaffen. Die Bewohnerin wurde in ein Krankenhaus verbracht, es wurde die Sonde erneut gelegt und sie verstarb wenig später unter laufender Ernährung.

Es kam in Folge dieser Situation zur Anklage wegen des Vorwurfs eines Tötungsdeliktes der Tochter gegen ihre Mutter. Rechtsanwalt Putz wurde ebenfalls angeklagt und vom Landgericht Fulda verurteilt, da das Durchtrennen der Sonde als Beginn eines Tötungsversuchs angesehen wurde. Der Bundesgerichtshof in Strafsachen hat diese Entscheidung dann korrigiert und Rechtsanwalt Putz am 25.06.2010 freigesprochen. In einer richtungsweisenden Entscheidung stellen die Richter fest, dass die Umsetzung des Patientenwillens durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung (Behandlungsabbruch) erfolgen kann und dies sowohl durch Unterlassen als auch durch aktives Tun.

Das nun vorgelegte Buch schildert neben den Hintergründen zum Ablauf und zum Verfahren die emotionale Seite der beiden Verfahren. Rechtsanwalt Putz hat sich jahrelang wie kein anderer Anwalt in Deutschland für die Durchsetzung des Patientenwillens eingesetzt und damit die Rechtspraxis verändert. Das Buch schildert eindrücklich die Motivlage der Beteiligten und auch die Belastungen durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Frau Gloor gibt einen Eindruck in die Anfeindungen und Situationen der moralischen Nötigung durch einige Beteiligte. Die Durchsetzung des Bewohnerwillens kann starke Selbstzweifel und Belastungen auslösen. Daran ist bedauerlicherweise auch die Familie von Frau Gloor zerbrochen.
In einer sehr persönlichen Schlussbetrachtung stellt Rechtsanwalt Putz seine persönliche Motivlage und seine Interpretation der Rechtslage dar. Damit schildert er auch sein Lebenswerk. Seine Rechtsauslegung wurde schließlich durch den BGH als Recht erkannt. Das ist eine ganz besondere Auszeichnung für einen Angeklagten in einem Strafprozeß vor dem BGH. Das persönliche Engagement von Rechtsanwalt Putz für den Patientenwillen gegen jede Form von Paternalismus wurde durch den BGH gewürdigt. Herrn Putz ist es zu verdanken, dass die Umsetzung des Patientenwillens ohne entsprechende Unsicherheiten möglich ist. Die damalige Bundesjustizministerin Zypries hat 2004 die Erforderlichkeit der Klarstellung der Rechtslage zur Zulässigkeit der Therapiebeendigung nicht gesehen und so konnte Klarheit erst 2010 vom BGH geschaffen werden.

Gerade wegen der vielen persönlichen Einschätzungen und Anmerkungen ist das Buch ein Gewinn für alle, die sich mit der Umsetzung des Patientenwillens beschäftigen. Es ist eine Stärkung für Zweifler und der dargestellte Verlauf kann vordergründig als abschreckendes Beispiel dienen. Es bleibt zu hoffen, dass sich derartige Verläufe in Deutschland nicht mehr wiederholen. Die an der Durchsetzung des Bewohnerwillens beteiligten Personen sollten sich stets nach ihrer eigenen Motivation befragen und der persönliche Preis für diese undankbare Aufgabe ist mitunter hoch, sehr hoch. Das Buch kann zur Stärkung von Angehörigen und ehrenamtlichen Betreuenden beitragen.

Nicht nur die Fachwelt, sondern auch wir alle, haben Rechtsanwalt Putz für sein hartnäckiges Engagement zu danken. Ich danke den Autoren für die einfühlsame und offene Schilderung der Abläufe und Gedanken, die zum Freispruch am 25.06.2010 durch den BGH geführt haben. Betreuerinnen und Betreuer sollten dies Buch berufsvorbereitend lesen und sich damit selbst befragen, ob sie derartige persönlich fordernde Auseinandersetzungen zukünftig führen möchten. Bei aller Hoffnung in Ethikberatung und Konsensgespräche stellt das Buch manchmal erforderliche juristische Konfrontationen dar, die in Zukunft hoffentlich nicht mehr erforderlich sind. Das Buch stellt das ewige Ringen von Selbstbestimmung und Fürsorge eindrücklich dar und ist somit trotz des traurigen Anlasses ein emotionaler und tief bewegender Beitrag von angewandter Ethik in der Praxis.

Dr. phil. Arnd T. May


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